Meine Nordafrikareise im August 2000

Von: Erich Schmidt

Die Heimreise von Deutschland nach Ägypten im August 2000 haben wir wie folgt geplant: Erich überführt das Auto, und Gabi und die Kinder fliegen nach Alexandria. Da ich nun alleine fahre, kann ich frei entscheiden wie und wo. Also gehe ich auf das Angebot des Kollegen Holger Brandt ein, die Route über Tunesien und Libyen nach Afrika zu probieren. Gesagt, getan.
Spätestens bis zum 24./25. August wollen wir in Alex sein, planen Holger und ich. Da wir die Risiken der Zeitverzögerung kennen (wir denken da an unser Ägäis-Abenteuer im Juni 2000), starten wir definitiv am 17. August um 10:00 mit der Fähre von Genua.
Die Fahrt beginnt in Gammertingen gegen 23:00 des Vorabends. Es läuft gut, und die Schweizer Autobahnkarte im Kopf, will ich gerade gen Sankt Margarethen abbiegen, als ich ein neues Schild auf der Autobahn sehe: ein itinéraire nach Chur direkt. Wunderbar! denke ich, und bleibe schön auf der Spur, ohne abzubiegen. Fast niemand stört mich in dieser Nacht auf der Autobahn. Es gibt keine Grenzposten, leider auch keine offene Tankstelle mehr. Was soll’s. Der Wagen rollt.
Als ich dann dem Schild CH nachfahre, komme ich doch zu einem Grenzübergang. Es ist 1 Stunden nach Mitternacht, und der (österreichische) Zöllner ist verschlafen und brummig. Ich habe, so stellt er fest, kein Pickerl, kein gültiges, obwohl ich doch österreichische Autobahnen befahre. Nein, nein, belehre ich ihn, ich fahre in die Schweiz, will mit österreich nichts zu tun haben, denn ich will die Schweiz durchqueren, um nach Italien zu gelangen. Tja, nun sei ich aber schon einige Dutzend Kilometer auf österreichischer Piste gefahren .... aha, mir dämmert’s: der itinéraire nach Chur, den ich so nicht auf der Karte ausgeguckt hatte.... hat mich auf den Leim gehen lassen. Man hat mich einige Dutzend Kilometer auf österreichisches Terrain gelotst. Das kostet eine Einmahlgebühr von Tausendeinhundert Schilling, belehrt mich der brummige Zöllner, nichts zu machen, ich muß die umgerechnet 156,- DM bezahlen. Ma’alesh, wie der Ägypter sagt.
Die Nacht über rolle ich gut durch, schön ist die Erinnerung an Lugano im frühen Morgenlicht, als ich vom San Bernhardino herunterrolle. Im Hafen Genua komme ich gegen 6:45 am 17. August an.
Mein Ticket habe ich im Internet gebucht, worauf ich stolz war, denn mit meinem Notebook mit Internetanschluß, und das von der Hütte im Schwarzwald aus, war dies ein toller Beweis der Möglichkeiten moderner Technologie. Bezahlt habe ich mit der VISA-Karte. Auf dem Ausdruck der Buchungsbestätigung stehen alle wichtigen Daten, und auch, daß das règlement über carte bancaire am 10. August erfolgt war; ferner, daß das Ticket am Tage der Abfahrt am Hafen eingelöst werden soll. Ich zeige also diesen Schein an der Hafeneinfahrt vor. Etwas müde wegen der langen Nachtfahrt habe ich zunächst Mühe, die Konversation auf italienisch zu bestreiten, aber es geht. Ich solle im Roten Gebäude da drüben mein Ticket einlösen, Öffnungszeit 8:00. Also, denke ich, warum diese Hetze, ich bin früh genug. Um kurz nach acht Uhr stehe ich erstmals am Schalter im roten Backsteinbau des ufficio. Ja, nickt der Schalterbeamte, das Ticket kann ich lösen, es kostet 430 $. Aber nein, sage ich, es ist bereits bezahlt, hier steht es doch ... er schüttelt den Kopf: bei ihm kann man Tickets nur gegen bar kaufen. Ich solle zum Hafeneingang fahren. Das tue ich. Erste Verärgerung: Sie waren doch schon da. Dieser Zettel ist kein Ticket, also gehen Sie jetzt zum roten Gebäude und lösen das Ticket ein. Ich darauf: aber da komme ich her, die sagen... (alles auf italienisch, und das früh am Morgen!) . Nichts zu machen. Hier haben sie keinen Computer, also wieder zurück, und irgendeine Bestätigung, einen Stempel, oder vielleicht ein richtiges Ticket mitbringen. Das ganze geht drei Mal hin und her, bis ich erkenne: die Internetbuchung ist blanke Theorie, ein Sieg der Technik ohne praktischen Wert, denn hier, im Hafen von Genua, kann keiner damit umgehen. Ich lasse mir wenigstens mit Stempel und Unterschrift bestätigen, daß ES nicht geht (non accettato), und dann kaufe ich mir um 430 $ ein neues Ticket, in der Hoffnung, daß ich den Internetbuchungspreis irgendwann wieder zurückerstattet bekomme. Ohne Hoffnung ist der Mensch nichts (LIVIUS - oder SENECA?). Inzwischen ist es 9:15 geworden, die üblichen Eincheckformalitäten, gegen 9:45 fahre ich an Bord, bekomme die Kabine zugewiesen. Ich brauche Luft, gehe an Deck, und schon ertönt die Lautsprecherstimme: "Ladies and gentlemen, we are sailing in a few minutes." Das war knapp!
Die Überfahrt war gut. Holger und ich treffen uns, haben beide unsere Landkarten und Unterlagen dabei, jeder hatte andere, wir ergänzen uns großartig. Zum Trost laden wir uns gegenseitig zum Aperitif ein, die Stimmung hebt sich.



Ankunft in Afrika, genauer gesagt Tunis, am Donnerstag, den 18. August um 7:00 Uhr. Das Frühstück war gut, die Zollabfertigung ist noch besser. Die Tunesier erkennen mein arabisches Autokennzeichen, winken mich an der Schlange vorbei, kurzer small talk, teils arabisch, ich bekomme die Stempel und bin in 10 Minuten durch. Holger kommt 20 Minuten später.
Wir besichtigen zunächst die Ruinen von Carthago, für einen Historiker wie mich ein MUSS, aber es ist schon dünn, was man da zu sehen bekommt. Die Überreste des Hafens der einst mächtigen punischen Flotte liegt heute in einer Bucht, die von Villen und schönen Anlagen gesäumt ist. Zu sehen ist nicht viel, dafür sind die Führer um so freundlicher. Ich fühle mich sehr wohl, weil in ganz Tunesien Französisch von fast Jedermann gesprochen wird.
Nach einem kurzen Bankbesuch (-ich mußte meine Reisekasse wieder auffüllen, denn die Österreicher und die Genueser haben mich ganz schön geschröpft-) geht es weiter ins Landesinnere. Wir fahren in Tunesien ziemlich gen Süden, bis zur Ruinenstadt von Thuburbo Majus. Hier haben die Römer, nachdem sie das Reich von Carthago ausradiert hatten, eine wunderbare Residenzstadt aufgebaut, noch die Ruinen sind eindrucksvoll. Aber die Hitze auch.
Wir fahren noch ein Weilchen und kaufen uns dann unsere ersten Lebensmittel ein, um ein Picknick zu machen. Was ich will, sind Obst und Gemüse. Holger stimmt zu: das ist bei der Hitze das beste. Die Tomaten und Gurken sehen gut aus, die Paprika scheinen uns etwas klein geraten. Bei einem schön gelegenen Pinienhain, gesäumt von Opuntien in vollem Fruchtstand, machen wir Rast. Wir waschen das Gemüse und packen unsere Kühltruhen aus. Holger meint, eigentlich mag er keine Paprika, aber diese hier schmecken ihm gut. Ich bin der erste, der von der zweiten Frucht probiert, der etwas kleineren, und japse und leide. Die ist heiß, die brennt... Holger glaubt es mir nicht und probiert ein kleines Stück. Auch er läuft so rot an wie ich vorher. Das brennt!!!! Wir erkenne, daß wir acht von den zehn Paprika als superscharfe gekauft haben. Wie das brennt!!! Holger hat zudem versucht, von den Opuntienfeigen zu kosten, und trotz meiner Warnung hat er sie mit bloßen Händen angefaßt. Die kleinen Stacheln mit ihren widerwärtigen Widerhaken habe sich haufenweise in seinen Fingern festgesetzt. So leiden wir beide, jeder auf seine Art.
Nun aber noch dieses: meine Augen sind von Wüste und Sonne gereizt, also schraube ich meine Kontaktlinsen heraus. Oh weh, wie tat das weh, denn die Hände waren natürlich vom gründlichen Waschen der scharfen Paprika verseucht. Vier Tage lang mußte ich meine Linsen in Flüssigkeit baden, bis ich sie wieder einsetzen konnte. (- Und noch eine Anekdote in Paranthese: natürlich muß man mal an den Straßenrand, wenn man muß; und die Hände waren übervoll von der Schärfe der gewaschenen scharfen Paprika. Mein Gott! Wie hat das da gebrannt, in der Hose! Fast eine Stunde lang wußte ich im Auto nicht, wie hinsitzen, so arg brannte ES...!-).
Wir reiten unsere Autos weiter durch das schöne Tunesien, und kommen gegen Abend in der Bucht von Gabès an. Wir suchen nur ein paar Minuten, dann haben wir abseits der Straße ein schönes Rastplätzchen gefunden. Es ist bis auf Sichtweite am Horizont keine Besiedlung zu sehen. Der Sternenhimmel über uns ist herrlich, weil durch kein Fremdlicht gestört. Allem zum Trotz habe ich über mein Handy eine schöne Gute-Nacht-Plauderei mit Gabi in Gammertingen. Wie klein die Welt doch ist!!



Am Vormittag des 19. August sind wir an der Grenze von Tunesien nach Libyen. Die tunesischen Formalitäten sind Null komma nix, und in Libyen geht es auch recht ordentlich zu. Zwar könnte man meinen, vom ersten Eindruck her, man sei an einer ägyptischen Grenzstation: viel Papierkram. Formulare, Behördenrallye. Trotzdem, ein Unterschied ist deutlich: die Libyer sind sehr, sehr nett. Wenn Du fragst, wo, wie, dann stehen sie auf, kommen aus ihrem Häuschen, gehen mit dir ein Stück des Weges, sagen: da mußt Du hin, dann kommst Du zu mir zurück, und ich sage Dir, wo es weiter geht, insha’allah! Wir bekommen neue Nummernschilder verpaßt, libysche, und ein Carnert de passage, und dann können wir nach zwei Stunden eigentlich angenehmer Grenzformalitäten weiterfahren.
Wir fahren nur noch ca. 100 km, bis wir in Sabrata Rast machen, ca. 50 km vor Tripolis, von Westen aus gesehen. Holger hat die Idee, nach einer Jugendherberge zu fragen. Wir dürfen uns auf den Hof stellen und im Auto schlafen, gegen 5 libysche Denar Entgelt können wir Duschen und WC benutzen. Die Ruinenanlage der römischen Stadt Sabrata ist wunderschön, das Amphitheater ist im Abendlicht einzigartig, die Tempelsäulen beeindrucken vor tiefblauem Meer,wir filmen und fotografieren und hoffen, unsere Schätze später unseren Freunden zeigen zu können.
Abends gehen wir aus, wir leisten uns ein Essen, denn beide haben wir noch viele libysche Denare in der Tasche. Ich bin großzügig und lade Holger ein, aber auch so werde ich nicht viel Geld los. Ein Essen für zwei – es gab Hähnchen mit Reis und guten Salaten – kostet 10 Denar (ein libyscher Denar ist etwa 1,20DM).
Wir erfahren auch den Ursprung des Namens der Stadt Tripolis, der doch eigentlich griechisch, und gar nicht arabisch ist. In der Tat: die drei römischen Städte Sabrata, Oes (heute Tripolis) und Leptis (genannt Magna) hatten sich zu einem Drei-Städte-Bund zusammengeschlossen, sozusagen eine Mittelmeerhanse der Antike, und daher der Name der libyschen Hauptstadt aus der Antike her: DIE DREI STÄDTE – Tripolis. (Heute schreibt man Tripoli.)



Der Morgen unseres dritten Tages in Afrika ist Sonntag, der 20. August. Beim Frühstück genießen wir noch einmal das Panorama der wundervollen Theaterruine von Sabrata. Hoffentlich werden die Fotos schön!! Wir fahren an diesem Tag um Tripolis herum, meiden den Streß der Großstadt, den wir in Alexandria zur Genüge haben, und machen uns auf die Suche zur nächsten Perle der römischen Ruinen am libyschen Mittelmeerstrand: Leptis Magna, etwa 120 km östlich von Tripolis. Auf arabischen Landkarten liest man den Namen Choms.
Dies ist die größte Ruinenstadtanlage, die ich je gesehen habe. Gut zwei Stunden haben Holger und ich es geschafft, in der größten Mittagshitze in dieser Ablage herumzulaufen. Wir haben sehr viel, aber nicht alles gesehen. Aber dieser Eindruck wird mir bleiben. Ich denke, die Römer lebten sehr gut und sehr großzügig in ihrer Zeit dort. Man wünschte sich, das heutige Leben in Alexandria zeigte solche Spuren von Großzügigkeit, Weiträumigkeit, Luxus ( die Bäderkultur der Römer!!).

Ein Blick auf den Kalender und die Landkarte verrät Holger und mir, daß wir Nachholbedarf haben. Wir müssen unsere Autos Kilometer fressen lassen! Also beschließen wir, nach dem Picknick im archäologischen Park von Leptis Magna, das gegen 15:30 ist, bis zum Einbruch der Dunkelheit zu fahren. Wir schaffen auch tatsächlich noch 400 KM in viereinhalb Stunden. Über das Tanken machen wir uns keine Gedanken. Denn im Gaddafi-Land läuft der Tank voll und kostet wenig. So tanke ich in Choms (=Leptis Magna) 56 Liter Superbenzin der Qualität 98 und bezahle 7 Libysche Denar (der LD steht ungefähr so wie der Schweizer Franke zur DM).
Wir kommen mit Einbruch der Dunkelheit in Syrte an und suchen dort wieder die Judendherberge, wo wir wieder im Hof in den Autos schlafen und umsonst (!!) die Duschen und WC’s benutzen dürfen. Wir spielen Tawla an diesem Abend, mangels anderer Attraktionen. Holger möchte meiner These nicht zustimmen, daß Strategie beim Tawla-Spiel nicht alles ist, und wir haben unsere Flasche Whisky aus dem Geheimfach geholt. Als nach vier Spielen 1:3 für Holger steht (ma’alesh Strategie!), ist die Whiskyflasche nicht mehr ganz voll. Unser Kopf am nächsten Morgen aber auch nicht ganz leicht.



Wir machen am Montag, den 21. August unsere 860 Kilometer auf den libyschen Straßen. Etwas heikel wird es, als wir in Ajdabiya entscheiden, nicht die Küstenstraße, sondern die Abkürzung durch die Wüste zu nehmen. Beim Beginn der Wüstenpiste weht ein Sandsturm, wir fahren wie in einen Tunnel hinein. Das geht so eine knappe Stunde, dann tauchen wir aus einer Senke auf, und es ist herrlichster Sonnenschein. Wir schaffen die 400 km Wüstenpassage von Ajdabiya bis Tobrouk in 3 Stunden 20 Minuten, das entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit (!!) von 120 km/h. Unsere libyschen Nummernschilder, einst schön grün, waren vom Sandsturm glatt poliert worden.
In Tobrouk (auf den Spuren des Generals Rommel) gibt es keine Jugendherberge. Ein sehr freundlicher libyscher Passant in Tobrouk setzt sich zu mir ins Auto und führt Holger und mich zum GRAND HOTEL (Name vergessen) des Ortes, weil er das unserer Autos wegen für würdig hält. Während ich den freundlichen Mann zu seinem Ausgangsort zurückfahre, hat Holger schon alles geregelt bei der Hotelrezeption: wir dürfen auf dem Parkplatz des GRAND HOTEL im Auto übernachten, Benutzung von WC gratis. Wenn das keine Gastfreundschaft ist! Libyen hat uns in dieser Beziehung sehr gefallen.



Die vierte Nacht ist also gut überstanden, und wir sind am Morgen des 22. August guten Mutes zur Attacke auf die libysch-ägyptische Grenze. Zuvor aber noch ein Pflichtbesuch beim Soldatendenkmal von Tobrouk, wo die Deutschen, die Engländer, die Franzosen und die Italiener ihre eigenen Gedenkstätten errichtet haben. Wir parken in Sichtweite des deutschen Ehrenmals, und fotgrafieren andächtig im frühen Morgenlicht, nicht eingedenk der Tatsache, daß die flache Mauer hinter uns in der Senke eine Kaserne begrenzt. Wir setzen unseren andächtigen Morgenspaziergang in Richtung Deutscher Gedenkstätte fort, als wir durch lautes Rufen gestört werden. Ein Mann im Feldanzug der Soldaten kommt schwitzend bei Holger und mir an und redet atemlos auf arabisch. Ich denke, er will Geld für den Eintritt und für die Kamera kassieren, und rede mit ihm, aber Holger hat es anders beobachtet: Filmverbot!!!! Wir haben VOR EINER KASERNE DER LIBYSCHEN ARMEE FOTOGRAFIERT!! Vor dem Tor der Kaserne tritt inzwischen die Mannschaft an, und zwei Minuten später sind zwei Jeeps mit Offizieren an unserer Seite. Uns droht die Verhaftung! Wir plaudern viel, halten uns zurück, sagen ihnen, daß wir die Kameras ins Auto einschließen, was wir vor ihren Augen tun. Dann sind die Offiziere mit einer Paßkontrolle befriedet. Wir stapfen wieder los, zu Fuß zum Kriegerdenkmal, ein mächtiges Bollwerk, das an das Castell del Monte in Apulien des Stauferkönigs Friedrich II von Hohenstaufen erinnert. Aber diese mittelalterliche Trutzburg ist geschlossen, der Blick durch das enge Fenster verstärkt den Eindruck einer Festung. Holger meint, er hätte sich eine offenere Architektur für dieses Kriegerdenkmal gewünscht. Ich stimme ihm zu.
Wir fahren nun zügig weiter zur libysch-ägyptischen Grenzstation El Saloom, noch etwa 130 km. Dort geht es zunächst überraschend zügig. Ein netter Herr mit modischer Sonnenbrille erklärt “Kollo tämäm“ (- alles in Ordnung-), nachdem er unsere Pässe gesichtet hat. Er nimmt uns das Carnet de passage ab, das wir bei der Einfahrt bekommen haben. Auf einmal fällt seinem Nachbar-Zöllner ein, daß wir die Nummernschilder (-die Sandsturm-gebleichten-) noch zurückgeben müssen. Also 2 Kilometer zurück zur Verkehrsstation. Dort will man aber die Papiere, die im Carnet de passage eingeheftet sind. Während Holger die Offiziere mit small-talk unterhält, rase ich zurück und befreie unsere Papiere, die inzwischen schon in der Sicherheitskammer abgelegt worden waren. Wieviel Personen mit wie vielen Schlüsseln da bewegt werden mußten!! Wir bekamen zur Belohnung 50 Denar der zuvor bezahlten 85 Denar wieder erstattet, die wir prompt in der nächsten Bank, nochmals 2 Kilometer weiter grenzhinterwärts, eintauschen können. Ein absolutes Novum in Gaddafi-Land, denn bis letztes Jahr, so berichten alle Kollegen, die dort gereist sind, gab es keinerlei Währungstransfer, und wir bekommen sogar in US-Dollar ausbezahlt, welche von Gaddafi 1996 noch persönlich als „Feindwährung“ deklariert worden war. Es stimmt schon: das einzig Beständige im Leben ist die Bewegung.
Nun kommt aber auch bei uns Bewegung in’s Spiel. Frohgemut geht’s zurück zur Grenz-Paßkontrolle. Aber der libysche Beamte ist Weltmeister im Paßlesen: drei Mal von vorne nach hinten, und von hinten nach vorn, bis endlich, ja endlich er einen Zettel vollschreibt und uns zu „Al Mudir“ schickt. Holger und ich blicken uns fragend an. Wir erfahren dann, daß wir uns jetzt nicht mehr frei bewegen können, sondern daß uns ein Chauffeur gegen Bezahlung zum „Mudir“ führt. Der ist der Chef der Touristenpolizei vor Ort. Er ist ein älterer Mann mit schlohweißer Mähne und einem Gesicht wie von einer steinerne Staue, und er spricht leidlich Englisch, hamdullillah! Er ist auch ratlos beim Durchlesen unserer Pässe, schweigt lange. Endlich rückt er mit der Wahrheit heraus: wir hätten uns während der Zeit in Libyen bei der Touristenpolizei melden sollen, einen Stempel abholen sollen. Wo wir denn jetzt den Stempel herbekommen können, wollen wir wissen. „In Tobrouk“ sagt er. Dann klingelt das Telefon, er telefoniert 10 Minuten. Jetzt sind Holger und ich ratlos. Noch mal die 130 km zurück und alles von Vorne anfangen? Und wir dachten, in Libyen laufe alles so gut... Nach dem Telefonat kommt der schweigsame alte Mann mit uns ins Gespräch, sieht die Paßbilder meiner beiden blonden Kinder im Paß und taut auf. Wir sprechen über Kinder, er lächelt. Ein Glas steht auf dem Tisch. Er holt Wasser unter dem Schreibtisch hervor, schenkt mir ein, ich nehme dankend an und trinke; dann bekommt Holger zu trinken, aus dem gleichen Glas; schließlich der alte Mann selbst. Nun wagt Holger den Vorstoß: wir könnten doch gar nicht mehr nach Tobrouk zurückfahren, unsere libyschen Nummernschilder sind schon weg! Der alte Mann denkt lange nach, dann zieht er aus der Schublade die Formulare hervor und hilft uns beim Ausfüllen. Er ist wirklich nett.
Wir kommen nun zügig durch die libysche Grenzabfertigung, sind schon in Ägypten! Paßkontrolle hier in Ägypten nahezu mit Schallgeschwindigkeit, nach 30 Minuten sind wir durch, so, jetzt bloß noch das Auto durch den Zoll bringen! Holger, wie immer gut gelaunt, läuft an der Schlange von –zig Autos vorbei und fragt ungeniert, ja, ja, winken sie uns zu, die Autozöllner, fahrt hier an der Seite vorbei, zu uns!
Sie sind auch sehr nett, die zwei ägyptischen Herren, schauen pflichtbewußt alles an, auch ins Auto hinein, aber nichts wird angerührt. Wir spüren, daß sie trotzdem gerne noch etwas aufgeschrieben hätten. Wir hätten da noch eine Videokamera, melden wir uns. Oh ja, eine gute Idee, schnell schreiben sie die Nummer der Videokamera in den Paß und in weitere drei Formulare, jetzt haben sie ihre Pflicht wirklich erfüllt. Sie können uns also zum Abstempeln des Zollpapieres (ausgestellt in Alexandria, vorzulegen bei der Aus- und Einreise am ägyptischen Zoll) ins Gebäude schicken. Toll! denken wir, jetzt können wir sogar noch vor 15 Uhr hier abfahren, und dann auf die Autobahn, und auf nach Alexandria... während wir so träumen, warten wir ein wenig. Zügig haben die sehr netten Herren im Büro unsere Daten vom Zollpapier in die Listen eingetragen, und während sie ein wenig mit uns plaudern (- ach herrje, hätten wir doch mehr arabische Vokabeln gepaukt, unsere Gehirne arbeiten auf Hochtouren beim arabischen small talk -), also während dieses Plauderstündchens stellt sich heraus, das alles challas ist, alles fix und fertig, und bald könnte es für uns jalla! heißen, los geht’s. Aber den Stempel, den brauchen wir schon noch auf’s Papier, und den hat der mudir, der gerade beim Essen ist. Wir sind auch nach einer Stunde nicht verzagt, denn er muß schon sehr lange beim Essen sein, also bald kommen. Als nach der Gebetsstunde viele wieder in ihre Büros zurückströmen, unser mudir aber nicht, wird unser Beamter unruhig und durchkämmt die ganze Verwaltung. Es inzwischen 16 Uhr vorbei, als unser netter Beamter erfolglos von der Suche nach dem essenden mudir zurückkehrt. Er zieht mit Sorgenfalten auf der Stirn einen Schlüsselbund, öffnet seine Schublade, entpackt einen Stempel, drückt ihn uns auf die Papiere, und schickt uns weg. Nein, die Gebühr von 2 Pfund bräuchten wir jetzt auch nicht mehr zu bezahlen, der Kassier ist auch noch beim Essen...! Gegen 16:30 verlassen wir die Zollstation und wünschen dem mudir weiterhin guten Appetit.
Von Al Saloom bis Alexandria sind es 502 Kilomter, die Geschwindigkeitsbegrenzung auf der schnurgeraden, übersichtlichen Wüstenautobahn bereitet uns Probleme: Tempo 90 ist vorgeschrieben, alle paar Kilometer eine Tafel mit den Richtgeschwindigkeiten, und die Androhung von Radarkontrollen. Die Strecke zieht sich. Wann werden wir da bloß ankommen?!? Wir fahren dann mit Mut und Taktik: auf ganz freien Strecken brausen wir 130, und in Sichtnähe von Gebäuden oder Siedlungen, von wo aus sie eine Stromleitung zum Radar herlegen könnten, fahren wir brav 90. Die Strategie geht auf, wir durchfahren eine Polzeikontrolle, werden aber nicht herausgewunken.
Trotzdem müssen wir die letzten 170 Kilometer im Dunkeln fahren. Das ist sehr anstrengend, und Holger und ich wechseln uns so alle 50 Kilometer als erster Fahrer ab . Gegen 22 Uhr Abends endlich im Großraum Alexandria. Die Straßen sind jetzt beleuchtet, aber es ist auch der Teufel los. Sie fahren sehr aggressiv, und ich komme zu dieser späten Stunde mehr ins Schwitzen als mittags in der Wüstenhitze.
Am Dienstag den 22. August abends gegen bin ich dann 23 Uhr endlich daheim! Und welch eine freudige Begrüßung. Die Boabs stehen in unserer Straße, werfen die Arme hoch und jubeln, als wäre ich ein Torschütze, alle kommen aus ihren Häuschen, sie begrüßen mich, beim Auspacken reißen sie mir die Koffer und Taschen aus der Hand und streiten um die Ehre, mir beim Tragen zu helfen. Ja wirklich, ich bin zu Hause!!

Es war eine schöne, wenn auch phasenweise anstrengende Reise. Insgesamt bin ich ca. 3500 Kilometer im Auto gefahren, und davon ca. 2900 in Afrika. Holger war ein guter Kompagnon, und es war ein schönes Abenteuer.


Wir konnten in Leptis Magna nicht widerstehen...


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